Natural Cycles ist eine Verhütungs-App, die im letzten Jahr viel Aufsehen erregt hat. Hauptsächlich deshalb, weil damit geworben wurde, die einzige TÜV-geprüfte und somit sichere Applikation auf dem Markt zu sein. Ich habe von Beginn an meine Bedenken geäußert und laut den neuesten Berichten in schwedischen Medien sollte ich damit auch Recht behalten.
Seit gestern ist es offiziell. SVT, einer der größten schwedischen TV-Sender, titelt auf seiner Webseite: „App wird der schwedischen Arzneimittelbehörde gemeldet!„. Wie ihr euch sicher vorstellen könnt, wundert mich diese Entwicklung nicht wirklich. Bevor wir aber auf die genauen Gründe für diese Meldung bei der Behörde zu sprechen kommen, werfen wir einen kurzen Blick auf die Geschichte dieser Verhütungsapp.
Erste TÜV geprüfte Verhütungsapp mit 99 % Sicherheit
Anfang letzten Jahres machten diese Aussagen Schlagzeilen. Die gesamte deutsche Presse war überfüllt mit Artikeln über die offensichtlich erste TÜV-geprüfte Verhütungsapp auf dem Markt. Die Gründer von Natural Cycles waren sehr fleißig, was ihre Pressearbeit betrifft, und haben alles daran gesetzt, in ihrer Kommunikation und ihrem Marketing als die einzig sichere Verhütungsapp zu gelten. Zu diesem Zeitpunkt war auch ihre gesamte Internetpräsenz darauf ausgelegt. Auf ihrer Webseite warben sie nicht nur mit dem TÜV-Siegel, sondern auch mit 99 %iger Sicherheit ihrer Methode.
Apropos Methode, was ist die verwendete Methode?
Tja, das weiß niemand so genau. Da Natural Cycles nur die Basaltemperatur und den Beginn der Menstruation als Daten zur Bestimmung der fruchtbaren Tage verwendet, ist es eine Form der Temperaturmethode. Allerdings mit eigens entwickeltem Algorithmus, in den natürlich niemand Einblick hat. Die klassische Temperaturmethode ist, wie wir ja alle wissen, absolut nicht sicher! Grundsätzlich spricht nichts gegen die Verwendung eines eigenen Algorithmus, wenn dieser gut ist und sich auch über einige Zeit als sicher bewährt hat.
Beispielsweise gibt es Zykluscomputer, die ähnlich arbeiten. Die Valley Electronics AG entwickelt seit über 30 Jahren sichere und international anerkannte Zykluscomputer. Zu diesen gehören der LadyComp, der Pearly und auch die neuste Variante, die Daysy. Der Algorithmus und die Software haben sich in den letzten Jahrzehnten stetig weiterentwickelt und gelten als sehr sicher. Man kann mit viel Erfahrung und Entwicklung also durchaus nur mit der Temperatur als Parameter sehr gut verhüten. Allerdings darf man einen Zykluscomputer keinesfalls mit einer App inkl. einem einfachen Basalthermometer vergleichen. Dazwischen liegen Welten. Und spätestens jetzt, nach den neuesten Erkenntnissen zu Natural Cycles, sollte das auch jedem bewusst sein.
Der TÜV prüfte nie die Sicherheit!
Im Gegenteil zu dem, was die meisten bisher dachten, hat der TÜV keinesfalls die Sicherheit oder Zuverlässigkeit der Verhütungsmethode von Natural Cycles geprüft! Die App wurde lediglich als Medizinprodukt zertifiziert. Das heißt im Klartext: Die vom TÜV getätigte Überprüfung und die darauf folgende Zertifizierung sagt also absolut nichts über die tatsächliche Sicherheit oder den Pearl Index von „Natural Cycles“ aus, sondern bezieht sich lediglich auf die technischen Voraussetzungen und das Qualitätsmanagement, die Voraussetzungen für die Zulassung als Medizinprodukt Klasse IIb sind. Dr. Thomas Oberst von der zuständigen TÜV SÜD AG sagte mir dazu:
„Die TÜV SÜD Product Service GmbH hat in ihrer Funktion als benannte Stelle bestätigt, dass Natural Cycles die gesetzlichen Anforderungen an ein Medizinprodukt der Klasse IIb erfüllt. Das ist keine Bewertung der Zuverlässigkeit der Verhütungsmethode“.
Ich war von Anfang an kein Fan
Genau aus den besagten Gründen habe ich von Beginn an von der App abgeraten. Diese falschen Werbeversprechen, die Verwendung der Temperaturmethode in Verbindung mit einem neuen und noch nicht ausgiebig getesteten Algorithmus waren für mich sofort ein K.O.-Kriterium. Erschwerend hinzu kam für mich zudem, dass bei dieser Methode ein ganz normales Basalthermometer benutzt wurde, statt wie bei den oben erwähnten Zykluscomputern ein spezieller Messsensor. Getopt wurde diese Tatsache allerdings noch mit der empfohlenen Messdauer von nur 30 Sekunden. Das konnte einfach nicht gut gehen. Leider sollte ich Recht behalten.
37 Abtreibungen wegen App-Fehler in Schweden
Natural Cycles ist in vielen europäischen Ländern zugelassen. Nun wird die App, laut Medienberichten, in ihrem Herkunftsland Schweden wegen 37 Abtreibungen in Folge der durch App-Fehler bedingten ungewollten Schwangerschaften der dortigen Arzneimittelbehörde gemeldet. Die Zahl der ungewollten Schwangerschaften bezieht sich nur auf die, die im Zeitraum zwischen September und Dezember 2017 eine Abtreibung im Södersjukhuset-Hospital vornehmen ließen. Von den 668 Abtreibungen in diesem Krankenhaus innerhalb des besagten Zeitraums ließen sich 37 Fälle auf einen Fehler der App zurückführen.
Wir sprechen aktuell also nur von Fällen in einem Krankenhaus, einem Land und einem Zeitraum von nur vier Monaten. Wie viele Frauen allein in Schweden trotz App ungewollt schwanger wurden und das Kind behalten haben oder in einem anderen Krankenhaus haben abtreiben lassen, ist unklar. Genau das wird aktuell untersucht. Wie viele Frauen in allen Ländern Europas betroffen sind, in denen die App zugelassen ist, bleibt unklar. Allerdings ist es doch schwer vorstellbar, dass es sich hierbei um ein rein schwedisches Phänomen handelt und Frauen in anderen Ländern davon verschont blieben.
Für mich persönlich steht fest: Die Dunkelziffer muss sehr hoch sein!
Entwickler rudern zurück!
Mittlerweile findet man auf der Webseite kein „99 % Sicherheit“-Werbeversprechen mehr. Der schwedische Fernsehsender zitiert die Natural Cycles-Gründer zum Thema Sicherheit nun so:
Keine Empfängnisverhütung ist 100 % effektiv und ungewollte Schwangerschaften sind leider ein Risiko für alle Verhütungsmittel. Natural Cycles hat einen Pearl-Index von 7, was eine Effizienz von 93 % bedeutet, die wir auch kommunizieren.
Ehrlich gesagt halte ich auch einen Pearl-Index von 7 noch für sehr optimistisch. Aber wenigstens sind sie mit dieser Aussage schon mal näher an der Realität als noch vor einem Jahr. Es wäre allerdings schöner gewesen, wenn sie von Anfang an offen, ehrlich, transparent und ohne unrealistische Werbeversprechen mit ihren Nutzern umgegangen wären.
Über die Autorin dieses Artikels
Isabel ist Gründerin von Generation Pille und Autorin des Buches "ByeBye Pille". Ziel der Seite und jedem einzelnen Beitrag ist es, Frauen zu helfen, ihren Körper besser zu verstehen, Symptome zu deuten und sowohl körperliche als auch hormonelle Zusammenhänge zu begreifen. Der Fokus ihrer Beiträge liegt hierbei ganz klar auf den Themengebieten Frauengesundheit, Hormone, hormonelle Beschwerden und natürliche Verhütung.
Instagram: @_isabelmorelli_
Kontakt: isabel@generation-pille.com
Dankeschön für deine Rückmeldung. Hierzu möchte ich folgendes ergänzen:
Natural Cycles arbeitet eben nicht nur mit der Temperatur sondern Nutzerinnen können (wie oben schon geschrieben) auch die Ergebnisse von Ovutests eintragen. Außerdem beträgt doch die Messdauer von bspw. dem Geratherm auch nur ca. 30-40 Sekunden – bei oraler Messung.
Mit diesem Thermo habe ich zumindest die Möglichkeit noch zu entscheiden, ob ich weiter messen möchte oder nicht. Bei Daysy und anderen Zykluscomputern wird mir diese Entscheidung quasi abgenommen.
Ich finde es ehrlich gesagt etwas mutig zu behaupten, dass der eine Messsensor besser ist als der andere. Hast du sie wirklich genau unter die Lupe genommen? Würde ich jetzt eher einem Techniker zutrauen…
Aufgrund von meinem beruflichen Hintergrund kann ich dir sagen, dass es für die Aussagekräftigkeit völlig unerheblich ist, ob der Algorithmus auf einen Chip geflasht wird, welcher direkt in der HW verbaut wird oder ob dieser in einer App implementiert ist.
Dass du nicht weißt, was andere Blogs über Daysy schreiben kann ich mir auch nicht so gut vorstellen – du verlinkst doch sogar zumindest einen Artikel von Maggie („Maggie von „We Are The Ladies“ über die Pille und NFP“)? 😉
Ich denke es wäre für Frauen hilfreich, wenn zumindest das Feedback der Nutzerinnen allgemein zudem als Randinformation in deinen Artikel über Daysy mit eingeflossen wäre. Manches wiederholt sich ja immer wieder… Natürlich ist es ein persönlicher Blog aber rein redaktionell fehlt mir das an dieser Stelle, da er ja dennoch professionell und hauptberuflich betrieben wird 🙂
Viele Grüße Stefanie
Liebe Isabel.
Du schreibst „Allerdings darf man einen Zykluscomputer keinesfalls mit einer App inkl. einem einfachen Basalthermometer vergleichen“ – das verstehe ich ehrlich gesagt nicht ganz, denn bei NFP verwendet man doch auch ein handelsübliches Basalthermometer zur Ermittlung der Temperatur (Domotherm Rapid, Cyclotest Lady, usw.).
Sicherlich fließen hier dann noch andere Beobachtungen (ZV, MuMu Beobachtung) mit ein, aber das ändert nichts an der Genauigkeit der Temperaturmessung zumal der eine von dir verlinkte Zykluscomputer Daysy ebenso ausschließlich die Temperatur zur Fruchtbarkeitsbestimmung und die Menseingabe heranzieht.
Ebenso schreibst du weiter oben „Da Natural Cycles nur die Basaltemperatur und den Beginn der Menstruation als Daten zur Bestimmung der fruchtbaren Tage verwendet, ist es eine Form der Temperaturmethode (…)“ – genau so ist es doch auch bei Daysy?
Natural Cycles gibt übrigens auch die Möglichkeit das Ergebnis von Ovutests einzutragen – wie diese dann verwertet werden… tja das weiß man nicht. Aber das weißt du denke ich nur als Teil des Entwicklerteams (nicht mal ein Support weiß das).
Mich wundert es ehrlich gesagt etwas, dass keiner der (wenigen) Blogs die sich um Verhütung (insbesondere die natürliche) Daysy auch kritisch beleuchtet, denn es gibt genügend Schwachstellen – an was liegt das frag ich mich…?
Liebe Grüße Stefanie
Hallo liebe Stefanie,
es freut mich sehr, dass du dich mit diesem Thema so auseinandersetzt und auch meine Beiträge nicht nur überfliegst, sondern wirklich liest und reflektierst.
Zu deiner ersten Frage:
Die Kritik an dem Basalthermometer bezieht sich nur auf die Methode. Klar kann man bei NFP ein normales Basalthermometer nutzen, aber um das korrekt zu verwenden muss man je nach Regelwekr (NFP, NER, FAM, etc) zwischen 3 und 5 Minuten messen. Ohne speziell entwickeltes Thermometer oder Messsensor sind 30 Sekunden Messdauer einfach noch viel zu kurz, da sich bei vielen Frauen die Temperatur noch lange weiter verändert. Das ist gerade im Fall von Natural Cycles schlimm, weil sie eben nur mit der Temperatur arbeiten.
Zur zweiten Frage:
Der Unterschied dzwischen Daysy und einer App ist zu aller erst, dass die Hersteller von Daysy seit über 30 Jahren an ihren Algorithmen arbeiten und diese eben sehr gut funktionieren. Außerdem arbeiten Zykluscomputer unabhängig von einer App. Sprich: das Gerät an sich kombiniert „Thermometer“ und Algorithmus. Der Messensor ist speziell entwickelt und nicht vergleichbar mit einem Basalthermometer. Wenn man Messsensor bzw. Thermometer und Algorithmus von einander trennt, wie man es mittels App und Thermometer tut, muss sicher gestellt sein dass das die Messung aussagekräftig ist. Das ist es meiner Meinung nach bei Natural Cylces und dem dazugehöriegen Thermometer nicht.
Zu deiner dritten Frage:
Wie andere Webseiten und Blogs über Daysy schreiben kann ich dir nicht beantworten. Ich kann nur für mich sprechen und ich habe in der einjähigen Testphase einfach keine Schwachstelle entdeckt. Während deses einen Jahres gab es keinen Zyklus in dem eine falsche Angabe zur Fruchtbarkeit gemacht und auch App funktionierte. Kritisiert habe ich allerdings, dass mir die App an sich nicht gefällt. Diese Zickzack-Kurven haben mich eher verwirrt als dass sie mir was gebracht hätten. Da das aber für die Funktion von Daysy nicht relevant ist und die App nur ein „Add-On“ war das für mich ok. Ich habe sie irgendwann also einfach nicht mehr benutzt. Lange Rede kurzer Sinn: Wenn ich etwas über ein Jahr lang teste und währenddessen keine Schwachstellen auftreten, kann ich auch nicht drüber schreiben.
Viele, liebe Grüße
Isabel